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Raumgestaltung im Hier und Jetzt

1. Dezember 2020

Bei der Gestaltung einer Spezialklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik gilt es, die Balance zwischen den Wahrnehmungsebenen der Patienten und den therapeutischen Ansätzen zu finden. So hat die Innenarchitektin Sylvia Leydecker das denkmalgeschützte Schloss Gracht in Liblar (NRW – Deutschland) zu einer Institution umgestaltet, in der die Patienten vor allem auf sich selbst zurückgeholt und in sich selbst verortet werden können.

Von Thomas Geuder

 


Die Innenarchitektin Sylvia Leydecker und ihr Team von 100% interior haben zunächst versucht, so viel wie möglich vom historischen Bestand zu bewahren. Im Bild: der Ritterssal.

 

Eine der sehenswertesten Attraktionen im bis in die 1940er-Jahre vom Braunkohletagebau geprägten Liblar bei Köln ist das historische Schloss Gracht, ein zweiteiliges Wasserschloss, idyllisch gelegen im 9 ha großen Schlossgarten mit teilweise exotischem Baubestand – es gibt einige ältere Bergmammutbäume hier – und einem barocken Teil, ursprünglich nach französischem und englischen Vorbild angelegt. Die Geschichte des Schlossbauwerks selbst geht bis auf die Zeit um 1500 zurück, letzte Umbauten wurden im neogotischen Stil durchgeführt. Seit Mitte der 1970er-Jahre war hier das Universitätsseminar der Wirtschaft (USW) untergebracht, Ende 2018 wurde der Standort verkauft und zu einer privaten Akutklinik für psychodynamische Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, in der künftig Menschen mit stressbedingten Belastungsfolgen behandelt werden sollten.

 


Neue und bestehende Materialien, Einbauten und Möbel – wie hier in der japanisch inspirierten Tageslounge – gehen ein spannendes, dennoch harmonisches Verhältnis ein.

 

Denkmalschutz und Neugestaltung

Das Ziel dabei war, so Sylvia Leydecker, die mit ihrem Team von 100% interior für die Gestaltung des Umbaus verantwortlich war, „Räume zu entwerfen, die das therapeutische Konzept der Präsenztheratpie unterstützen und damit zur Genesung beitragen“. Besonderes Augenmerk musste dabei auf den Denkmalschutz gelegt werden, was zunächst vor allem den Erhalt der historischen, geschichtsträchtigen Bausubstanz bedeutete. So hat die Innenarchitektin etwa Parkettböden sorgfältig aufarbeiten lassen, Wände behielten ihre Putzoberflächen und die sanfte, lebendige Farbigkeit, selbst Stuccolusto Marmorimitate blieben erhalten. Was dann neu hinzugefügt wurde, besitzt bewusst eine hohe Qualität und Lebensdauer: Holz mit fein geschliffener Oberfläche, hochwertige gewebte Stoffe, echtes Leder, aufgelegte Teppiche bzw. Teppichfliesen, Messing, und viele andere Materialien. So gelingt der Planerin ein durchdachtes, harmonisches Gesamtbild.

 


Das Schloss Gracht ist ein zweiteiliges, historisches Wasserschloss inmitten eines idyllischen Schlossgartens.

 

Rückzugsraum für die Patientinnen und Patienten

Neben der statisch notwendigen Ertüchtigung des Bauwerks war bei der (Neu-)Gestaltung wichtig, eine auf die Nutzung zur Präsenztherapie ausgelegte Atmosphäre zu erzeugen, die von einer angenehm natürlichen Unaufgeregtheit sowie einer Ruhe und Entspanntheit geprägt ist. Denn bei der Präsenztherapie geht es vor allem darum, die Patienten psychisch ins Hier und Jetzt zu holen, damit sie diese Präsenz körperlich wie seelisch erfahren können. Das erfordert eine ganzheitliche Betrachtung. So sind die Patientenzimmer – die privatesten Räume – vorwiegend von einer sanften Helligkeit geprägt, mit sandfarbenen Teppichböden, Vorhängen mit Leinenstruktur, einer hellen Holzoptik im Mobiliar und Messing-Inlays. Ein farblicher Akzent finden sich allenfalls im Sessel, in den Muschelgriffen oder den Leuchtendetails.

 

  
Wichtig bei der Gestaltung der Räume war Bauherren wie Planerinnen das künstliche Licht, das in jedem für die Therapie wichtigen Bereich als zirkadianes Licht installiert ist. Die Atmosphäre in den Räumen sollte hochwertig, anregend, dennoch nicht überladen sein, um die Therapie zu unterstützen.

 

Anregende Gemeinschaftsräume

Im Rittersaal, in dem viel vom bestehenden Schloss-Flair erhalten blieb, schafft die Möblierung Aufenthaltsinseln, die in der Großzügigkeit des Raumes eine gewisse Nahbarkeit erzeugen. Ein gestalterischer Kontrapunkt ist die Tageslounge nebenan, auch „Sushi-Zimmer“ genannt, die von der japanischen Kultur inspiriert ist, mit einer eher frohen Farbigkeit, runden Formen und einem sanften Blau an den Wänden. Die Rezeption ist – wenig klassisch – ein Kubus aus einem satt-dunkelgrünen, fein geäderten Marmor, einer halbrunden, mit Blattgold ausgekleideten Deckenleuchte darüber sowie einer Messingwand für die Schlüssel. Dadurch wird eine ungezwungene Empfangssituation erzeugt.

 


Das Restaurant ist eher pragmatisch gestaltet, bietet jedoch reichlich Platz für die Patienten, die dadurch nicht nah beieinandersitzen müssen, wenn sie nicht möchten.

 

Multisensuelle Wahrnehmung

Auch das Licht folgt dem Konzept der Geborgenheit und Bezogenheit und ist als zirkadianes Licht konzipiert. Großformatige Leuchten bilden in jedem Patientenzimmer und im Restaurant der Tageslichtverlauf ab. Durch die vielen schallschluckenden Materialien entsteht auch akustisch eine ruhige, wohlige Atmosphäre, die allenfalls durch ein Spiel auf dem Steinway-Flügel oder das Zwitschern Vögel im Park bei geöffnetem Fenster durchbrochen wird. Die Verbindung der Sinne durch gefühlsorientiertes Erleben, die multisensuelle Wahrnehmung durch sehen, hören, fühlen, durch die Optik, die Akustik und Haptik waren die wichtigsten Antriebsfedern im Entwurf, um eine Präsenz des unmittelbaren Erlebens, ein Körpergefühl und ein emotionales Erleben im Moment zu erzeugen. Nicht zuletzt wegen dieser hohen Qualität ist das Projekt Mitte November 2020 beim 9. Healthcare Design Award der International Interior Design Association (IIDA) als Gesamtsieger ausgezeichnet worden.



Bei der Auswahl der neuen Materialien und Oberflächen wurde besonders auf deren sensuelle Wahrnehmung geachtet. Im Bild: der Empfang.

Copyright für alle Bilder: © Karin Hessmann


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