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Schönmachen statt Schönreden

30. Juni 2021

Sie sind viel mehr als nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein: Weltweit mehren sich die Initiativen, die den Traum von der Klimawende nicht sterben lassen. Dank ihnen lebt die Hoffnung, dass wir es mit jedem einzelnen Beitrag doch noch schaffen können.

 

Von Barbara Jahn



Das Wohnprojekt Jonas in Amsterdam, realisiert von den Orange Architects, wurde 2020 für den sorgsamen Umgang mit Ressourcen, die Nutzung von Regenwasser, Car-Sharing, Barrierefreiheit, Energieneutralität und viele andere Aspekte mit dem BREEAM-Zertifikat ausgezeichnet. © Orange Architects

 

Immer mehr Menschen haben die Schnauze voll: Meere und Tiere, die im Plastikmüll ersticken, Wüsten, die sich ausbreiten, obwohl gleichzeitig die Meeresspiegel steigen und Inseln versinken lassen, Feinstaubbelastungen, die weltweit bald Leben kosten als letale Krankheiten, Umweltkatastrophen, die schlimmer sind, als es je ein Blockbuster auf die Kinoleinwand projizieren könnte. „Change“ ist der Hilfeschrei der Stunde! Oder sollte man lieber sagen: Vollbremsung? Nun möglich ist das natürlich nicht, stattdessen sind visionäre Ideen gefragt, die aber die Welt nicht parallel in ein anderes, neues Unglück stürzen.

 

In der Architektur arbeitet man fieberhaft an nachhaltigen Lösungen, die wohl in Summe betrachtet den weitesten Zeithorizont haben. Wer sich anstrengt, wird dafür belohnt, denn ein umweltfreundliches Zertifikat für ein Gebäude zu bekommen, gehört fast schon zum guten Ton – für die Architekten und Bauherren, die sich aktiv um nachhaltige Lösungen bemühen, und für die Investoren und Bauträger, die eine Wertsteigerung darin sehen. Aber auch Zweiteres ist gut, denn es unterstützt die Sache an sich. Aber wovon reden wir da eigentlich? Unter einem „Green Building“ versteht man eine in Hinblick auf ökologische, ökonomische und soziokulturelle Ansprüche ausgelegte, nachhaltige Immobilie, die unterschiedlich klassifiziert werden kann. Es gibt eine ganze Reihe von Zertifikaten, wovon allerdings nicht alle gleich bedeutsam sind, aber gleich wertvoll als Beitrag sind.

 


Das bereits mit Platin prämierte THE BRICK, das nicht nur neues Landmark für Wien ist, wurde im November 2020 als erstes Bürogebäude Österreichs von der ÖGNI für seine Nutzungsqualität mit dem Kristall-Award ausgezeichnet. © Soravia

 

Zu den anerkanntesten zählen das amerikanische LEED - Leadership in Energy and Environmental Design -, das britische BREEAM - Building Research Establishment’s Environmental Assessment Method -, das französische HQE - Haute Qualité Environnementale – und das japanische CASBEE - Comprehensive Assessment System for Building Environmental Efficiency. Gemeinsamer Nenner: Die Mitgliedschaft im World Green Building Council, Toronto. Beim European Green Building handelt es sich hingegen um einen europäischen Überbegriff, der gleichzeitig für die Zertifizierung der Europäischen Kommission verwendet wird und sich auf die Reduzierung des Primärenergiebedarfs gegenüber einem nationalen Regelwerk bezieht. Das bedeutet, um diese Auszeichnung zu erlangen, müssen die national höchst zulässigen Verbrauchsziele um mindestens ein Viertel unterschritten werden. Ziel des europäischen Green-Building-Programmes ist es, bei der Errichtung von öffentlichen und privaten Gebäuden die Eigentümer und zukünftigen Nutzer dazu zu motivieren, die Energieeffizienz zu steigern und die Möglichkeiten erneuerbarer Energien zu nutzen. Natürlich ist alles freiwillig, aber das Interesse, die Voraussetzungen zu schaffen, um das Zertifikat zu erlangen, scheint stetig zu wachsen.

 

Die Österreichische Gesellschaft für nachhaltige Immobilien (ÖGNI) orientiert sich sehr stark an den Inhalten und Programmen der gleich oder ähnlich gepolten deutschen Organisation und ist durch die Einbindung in das World Green Building Council international vernetzt. In Deutschland wurde 2007 mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) eine Non-Profit Organisation geründet, die sich für eine zukunftsfähige gebaute Umwelt einsetzt, als Pendant zu den internationalen Zertifikaten. Heute gibt es rund 1.200 Mitglieder und es wurden bereits mehr als 5.000 Auszeichnungen vergeben. Um bessere Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen, zog man in Österreich nach. Um sich von der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB), die sich als Dach für all jene Unternehmen, Institutionen und auch Einzelpersonen, die an einer Höherqualifizierung der österreichischen Bauwirtschaft im Sinne des nachhaltigen Bauens interessiert sind, versteht, klar abzugrenzen, zieht die ÖGNI ihrerseits klare Grenzen. Sie führt die Zertifizierungen nicht selbst durch, sondern übergibt diese an unabhängige Auditoren, während die ÖGNB ein eigenes Zertifizierungssystem entwickelt hat und selbst Zertifizierungen anbietet.

 


Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis DNP wird 2021 von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e.V. und die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB bereits zum neunten Mal vergeben. © Dariusz Misztal

 

Doch auch in kleineren Maßstäben ist man engagiert dabei, Produkte mit nachhaltigem Gewicht mit einer Auszeichnung aufzuwerten. Gerade jetzt, wo Design – vor allem im Alltag - immer häufiger hinterfragt wird, spielt das Thema Nachhaltigkeit, auch wenn es nicht neu ist, eine wichtige Rolle. Das „Woher und Wohin?“ erlangt große Bedeutung und hat nichts mit Religion zu tun, sondern – und das ist ganz einfach - mit einer gesünderen Lebenseinstellung. So entstehen wiederum neue Initiativen, die frische Impulse für die Branche bringen. So hat das Komitee des Deutschen Nachhaltigkeitspreises erst letztes Jahr entschlossen, im Rahmen des größten Preises seiner Art in Europa eine neue Design-Auszeichnung zu etablieren. Der neu eingeführte DNP Design fokussiert noch stärker auf die Verantwortung im Design und schafft so mehr Bewusstsein in der Branche, Produktgestaltung noch engagierter unter dem Aspekt von Ressourcenschonung, Wiederverwertbarkeit und in Hinblick auf die Ziele der von der UN ausgerufenen Agenda 2030 für Klima, Biodiversität und Partizipation auszurichten. „Nachhaltige Gestaltung hat das Potenzial, wirksame Antworten auf die drängenden ökologischen und sozialen Herausforderungen zu geben“, sagt der Initiator des DNP Stefan Schulze-Hausmann. „Designer können die Lebensweise der Menschen beeinflussen und so wichtige Beiträge zum Wandel hin zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft leisten.“

 


Gewinner in der Kategorie Produkte des Green Product Awards. Alte Ölfässer aus Hamburg beginnen ihr zweites Leben als Beistelltisch: Lockenlöt nutzt die Metallfässer als Ausgangsmaterial und setzt als Tischplatte Holz aus recycelten Gerüstbohlen ein oder lässt einen zertifizierten Baum nachpflanzen. © Lockengelöt GBR

 

„Lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft gestalten.“ Das ist kein frommer Wunsch, sondern eine ernstgemeinte Einladung von Nils Bader, der 2013 den Green Product Award ins Leben gerufen hat. Dieser versteht sich als Auszeichnung für nachhaltige Marktveränderer, denen das Schmücken mit bereits erworbenen Lorbeeren und Verharren im Stillstand nicht genügt, sondern Nachhaltigkeit und Innovation in Verbindung mit Architektur und Design zum Mittelpunkt ihres Schaffens machen und das auch sichtbar machen möchten. Initiativen wie der Green Product Award nehmen im Prozess der Vergegenwärtigung eine wichtige Rolle ein. 2021 bereits zum achten Mal vergeben, bietet er eine Plattform für Hersteller, Designstudios, Agenturen, die sich mit ihren Produkten und Services hinsichtlich der genannten Kernthemen auszeichnen und die sich am Markt präsentieren wollen. Da es sich hier um keine Modeerscheinung handelt, sondern um ein Unterfangen mit sehr ernsten Absichten, werden die Bewerber respektive ihre eingereichten Produkte streng unter die Lupe genommen.

 

Die Jury beurteilt nicht nur das Design als Gesamtansatz unter Einbeziehung von Ästhetik, nutzergerechte Funktionalität, ökonomische und ökologische Konstruktionen, gegebenenfalls um das Zusammenspiel von Produkt und Verpackung, sondern prüft alle Phasen des Lebenszyklus – vom Konzept und Vorproduktion über Produktion und Distribution bis hin zu Nutzung und Nachnutzung. Die Qualität der Kommunikation mit dem Konsumenten über die Nachhaltigkeit wird ebenso berücksichtigt wie die Relevanz und der Grad der Innovation samt Business Modell. Verwendete Materialien, Produktionsbedingungen, die Qualität der Ausarbeitung, die Art der Umsetzung und das Veränderungs-Potential für Umwelt werden genau unter die Lupe genommen. Nicht zuletzt spielen auch die Originalität, die Reproduzierbarkeit sowie die Glaubwürdigkeit eine wesentliche Rolle.

 


Preisträger des Green Product Award 2021: Das erst im November 2020 gegründete Unternehmen Pretty Plastic stellt Fliesen aus Post-Consumer-PVC her, mit einer Methode, die die Produktion von neuem Plastik vermeidet und ohne chemische Zusätze auskommt. © Pretty Plastic

 

Diese, aber auch viele andere Initiativen sind wertvolle gesellschaftliche Beiträge, den kommenden Herausforderungen entschieden entgegenzutreten. Dank der mutigen Initiatoren und Initiativen, die sich in Anbetracht der besorgniserregenden Lage nicht geschlagen geben wollen, öffnet sich ein Fenster der Hoffnung, wenigstens in einigen Bereichen, die jedoch jeder für sich wichtig sind, etwas tun und vielleicht sogar wieder gut machen zu können.

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